“Geschichten im Konflikt” (2012)

Von: Springerin: Hefte für Gegenwartskunst 4 (Herbst 2012): 66–67.

- Kerstin Stakemeier

»Geschichten im Konflikt«
10. Juni 2012 bis 13. Januar 2013
Haus der Kunst, München

München. Im Münchner Haus der Kunst eröffnete Anfang Juni »Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-55«, eine Ausstellung, die nicht von einer Stunde null der deutschen Nachkriegsgeschichte, nicht von der nationalen Rehabilitierung einer verfemten deutschen Moderne, nicht von der deutschen Trauer um den Verlust hoch kultureller Distinktion und nicht von der deutschen Klage um Kriegsverluste handelt. Nichtsdestotrotz kreist sie exakt um denjenigen Zeitabschnitt, in den all diese wiederkehrenden Geißeln konservativer, deutscher Historiografien fallen. Doch »Geschichten im Konflikt« zeichnet die Geschichte der Moderne in Deutschland zwischen 1937 und 1955 anhand der wechselnden Funktionen des Hauses der Kunst nach und enthält sich dabei jeglicher Nationalisierung.

Die von Sabine Brantl und Ulrich Wilmes kuratierte Ausstellung ist wesentlicher Bestandteil des 75-jährigen Jubiläums und schließt damit an die Öffentlichmachung der GDK-Research Datenbank 2011 an, einem Online-Archiv zur Geschichte der Großen Deutschen Kunstausstellung 1937-1944, die von Sabine Brantl am Haus der Kunst in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte München erarbeitet wurde. Diese, wie auch die Ausstellung, sind bestimmt von einer Chronistischen Geschichtsauffassung, die den Nationalsozialismus nicht aus der bundesdeutschen Geschichte aussondert, sondern ihn in seine Nachgeschichte eingliedert. Um diese Narrationen zu verknüpfen, wurde vom Schweizer Künstler Christian Philipp Müller eine Dramaturgie in sechs Kapiteln entwickelt, die sich von der Fassade durch die Mittelhalle und das Treppenhaus hoch in die drei ineinander übergehenden Ausstellungssäle zieht. Hier trifft sich seine Inszenierung mit der von Efe Erenler entwickelten Ausstellungsarchitektur, einer grafisch gehaltenen Struktur, die nationalsozialistische Malerei auf Depotwände hängt (Kapitel 5), in raumhohen eingesetzten Archivkuben Dokumente der Ausstellungsgeschichte nach 1945 anordnet (Kapitel 6) und in demjenigen Raum, der der Gründungsgeschichtedes Hauses gewidmet ist, mit Stefan Silvestris Ausstellungsgrafiken, wandfüllenden Fotoabzügen und architektonischen Teilelementen, die die monumentalen Räume erfolgreich mit Elementen ihrer eigenen Geschichte brechen. Eine ungewöhnlich breit aufgestellte kuratarische Basis, die eine präzise Narration zusammenfügt, die aus der symbolischen Rolle des Hauses der Kunst eine Urgeschichte der bundesrepublikanischen Rückkehr zum Modernismus entwickelt.

Die Ausstellung beginnt in der Ansicht des Hauses selbst, für dessen Außenhülle Müller gemeinsam mit Erenler ein Tarnnetz in Violett- und Pinktönen entwarf, dass an dasjenige erinnern soll, dass 1943/44 während der Luftangriffe der Alliierten auf München zum Schutz darübergespannt wurde. Doch wo dass Original in Grüntönen das Haus zum Teil des Englischen Garten werden ließ, kehrt seine modisch lässigere Wiederholung den Effekt um. Paul Ludwig Troosts monumentaler Bau wird von Müller und Erenler in Drag gezwungen. Im zweiten Kapitel, der Mittelhalle des Gebäudes, der ehemaligen zentralen »Ehrenhalle«, wurde die Balustrade, von der aus Hitler sprach, wieder freigelegt, allerdings um dort die überlebensgroße Fotografie eines Mannequins aufzustellen, das an demselben Ort 1946 auf einer Exportschau Nachkriegsmode präsentierte.

Müllers Verfahren historischer Entmystifizierung, die unterschiedliche Gegenwarten übereinanderlegt, unterstützt maßgeblich den Chronistischen Ton der Ausstellung. Im Treppenhaus, dem dritten Kapitel, hören die Besucherinnen eine Soundcollage aus Hitlers Rede zur Grundsteinlegung am 15. Oktober 1933 und erblicken über sich, im Oberlicht des Raums, die Fotografie einer »Voreröffnung«, einer Herrenrunde aus Hitler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler, dem Direktor des Hauses der Deutschen Kunst Karl Kolb und dem Fotografen Heinrich Hoffmann, die vier Tage vor Eröffnung des Hauses auf dessen Terrasse sitzen. Die oberen drei Kapitel der Ausstellung schließlich setzen sich aus Kunst wie aus Archivbeständen zusammen und zeigen die Vorgeschichte des Hauses der Kunst bis zur Eröffnung 1937, bringen eine Auswahl von Kunstwerken zusammen, die entweder in der Femeschau »Entartete Kunst«, in einer der zwischen 1937 und 1944 stattfindenden Großen Deutschen Kunstausstellungen oder in Ausstellungen bis 1955 im Haus der Kunst zu sehen waren, und eröffnen die Nachkriegsgeschichte des Hauses als Ort einer nachgeholten Spätmoderne, die mit Hans Haackes »Fotonotizen« der documenta 2 1959 in Kassel endet, bei der erstmals der Fokus auf der Nachkriegsmoderne, also auf den Versuchen einer künstlerischen Gegenwart lag. Im vierten Kapitel zur Geschichte des Hauses ist Adolf Zieglers Rede zur Eröffnung der »Entarteten Kunst« Ausstellung vollständig auf eine Wand gedruckt, raumhohe Fototapeten zeigen u.a. Adolf Hitler im Haus der Deutschen Kunst und überblenden ihn mit Zitaten von Gety Troost, Herbert Marcuse und Ernest R. Pope. Im Zentrum des Raums steht ein riesenhaftes Modell des Hauses der Kunst aus weißer Schokolade, das Müller (wiederum) als Drag des von Goebbels an Hitler zu dessen 50. Geburtstag überreichten Modells des Hauses aus Gold hier platzierte. Das Modell ist hier allgegenwärtig, auf den Filmaufnahmen des Festzugs zu »2000 Jahre Deutsche Kultur« 1937 ebenso wie auf der Pariser Weltausstellung desselben Jahres, wo es im deutschen Pavillon einen Ehrenplatz einnahm. Zwischen historischen Filmaufnahmen, Dokumenten und Tonspuren verbinden sich die Kapitel auch inhaltlich miteinander. Gemeinsam mit dem Modell wurde im Deutschen Pavillon eine ebenfalls überdimensionierte Tapisserieversion des Adolf-Ziegler-Triptychons »Die vier Elemente« (1937) gezeigt, ein Bild, dessen Original im Kapitel 5 ebenfalls gezeigt wird. Ziegler war der Hauptverantwortliche der »Entarteten Kunst«- Ausstellung gewesen, er hatte die Werke aus den Museen zusammengezogen. ln Erenlers und Müllers Aufbau versperren Schaulagerschieber den geraden Durchgang in Raum 5. Die hier hängenden nationalsozialistischen Malereien sind von den eintretenden Besucherinnen abgewandt installiert. Erst wenn man in die hintere Raumhälfte gelangt, in der museal installierte klassische Avantgarde und Nachkriegskunst als Gegenüber aufgebaut wurden, erkennt man im Blick zurück Zieglers »Vier Elemente« als Front des nationalsozialistischen Malereischaulagers. Nur hier scheint die Ausstellung kurz klare Hierarchien aufzubauen- die dokumentarische Inszenierung der NS-Malerei gegenüber der modernistisch gestellten Moderne. Doch verbunden werden beide Raumteile von zwei Werken Rudolf Bellings, der mit »Max Schmeling« (1929) in der Großen Deutschen Kunstausstellung und mit »Kopf in Messing« (1925) in der »Entarteten Kunst« vertreten war.

»Geschichten im Konflikt« bietet keine einfache Scheidung zwischen einem Wesen des Nationalsozialismus und einem ihm kategorisch unverträglichen Wesen der Moderne an. Wenn also im letzten, dem sechsten Raum der Ausstellung die Nachkriegsgeschichtedes Hauses auf der einen Seite mit derjenigen der ersten documenta auf der anderen Seite verbunden wird, wird die Nutzung der Räume als Basketballfeld im USOffiziersclub ebenso auf dem Boden in Klebestreifen nachgezogen, wie die in den Raum eingebauten Archivgänge die wichtigen Ausstellungen der Nachkriegsmoderne mit Ordnern, Plakaten und Briefwechseln dokumentieren. 1955 hing hier Pablo Picassos »Guernica«, das noch 1937 im spanischen Pavillon der Weltausstellung als Gegenmodell zum nationalsozialistischen Deutschland gezeigt wurde.

»Geschichten im Konflikt« inszeniert keine nachgeholte Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit, offeriert keine ohnehin nur schemenhafte Wiedergutmachung, sondern legt historische Narrationen einer deutschen Moderne im und als Konflikt aus.